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Bedeutung und Missverständnisse rund um ‚Agilität‘ – Teil 1


Menschen, die sich in einem Labyrinth aus Holz bewegen

Die Fähigkeit von Unternehmen, sich schnell ändernden Märkten anzupassen, ist gerade in dieser Zeit ein kritisches Erfolgskriterium. Kürzere Lieferzyklen, flache Hierarchien mit kurzen Entscheidungswegen sowie eine hohe Innovationsfähigkeit sind gefragter denn je – und allzu oft werden diesen sinnvollen und wichtigen strategischen Ziele durch zu wenig Planung, zu wenig unternehmerische Selbstkritik und zu wenig Zeit nicht gut umgesetzt. Wirklich gute Ansätze verkommen zu Worthülsen, weil sie sofort als Lösung aller Probleme propagiert werden. Agilität und agile Transformation gehören dazu. Sie sind wichtige und gute Lösungsstrategien – müssen aber wie jede andere Lösung sinnvoll umgesetzt werden. Agilität und Digitalisierung können gerade in diesen komplexen und volatilen Zeiten die Resilienz eines Unternehmens nachhaltig stärken. Das gelingt jedoch nur, wenn dies wirklich gut umgesetzt und kritisch hinterfragt wird.

 

„Wir müssen agil werden“ – das große Missverständnis oder: die wahre Bedeutung von Agilität

Das Dilemma um agiles Projektmanagement

Eines der größten Missverständnisse um Agilität und agiles Projektmanagement sei, überhaupt von agilem Projektmanagement zu sprechen – höre ich immer wieder in Diskussionen. Wird die reine Lehre des agilen Manifests zugrunde gelegt, dann ist das sogar so.


Aber was in der Praxis ist schon die reine Lehre – sage ich, und fange an, die Bestandteiler agiler Arbeit aufzulisten, die wir im Laufe der Jahre im Team etabliert haben, wie Retros, Minimum Viable Product sowie ein neues Rollenverständnis. Jaaaaaaa – klar gibt es diese Elemente, aber es seien eben nur Elemente. Hm, wie viele Elemente agiler Arbeit müssen denn etabliert sein, bevor ich von agilem Arbeiten reden darf? Und ab wann darf von agiler Transformation gesprochen werden? Reicht es, agile Elemente in Unternehmen oder Teams zu implementieren oder muss es die Reinform sein, um von einer agilen Transformation sprechen?


Die Verwirrung um Agilität und Transformation

Hier gibt es viele Missverständnisse und Vorurteile, denn in der Tat werden die Begriffe nicht sauber verwendet – unter anderem, weil eine agile Transformation als solche gar nicht sauber definiert werden kann (meiner Meinung nach). Und das ist der Boden, auf dem Worthülsen wachsen.

Ich möchte in diesem Beitrag ein paar Missverständnisse rund um Agilität und agile Transformation aufgreifen, denen ich öfter begegne und die ich als sehr wichtig erachte. Denn ob es jetzt agile Softwareentwicklung genannt wird, agiles Projektmanagement oder agile Produktentwicklung – für mich ist agil vor allem eins: eine durchaus sinnvolle Umsetzung von Unternehmens-Strategie! Außerdem bin ich davon überzeugt, dass agiles Arbeiten Unternehmen bei der Bewältigung von Problemen in einer volatilen, unsicheren und komplexen Welt helfen kann.


Damit wird Agilität für mich zu einem zentralen Resilienz-Kriterium eines Unternehmens, zusammen mit der Digitalisierung. Und Resilienz wird gerade in dieser Zeit, in der durch Corona die ohnehin schon enorme Komplexität unserer Welt geradezu ausufert, zu einem bedeutsamen Überlebensfaktor für Organisationen.


Agilität ist aber trotzdem nicht die Antwort auf alle Fragen, nicht die Lösung aller Probleme. Daher ist es sehr wichtig, sich als Unternehmen zu fragen, wo man grade steht, welches Ziel eine mögliche (agile) Transformation haben sollte und welche Maßnahmen Schritt für Schritt dorthin führen.

Die folgenden Missverständnisse sind oft formulierte Ziele, mit denen eine agile Transformation begründet wird. Ich finde, es sind zunächst Unternehmens-Ziele – ob eine agile Transformation dorthin führt, muss kritisch geprüft werden.



Agilität: Missverständnisse und Wahrheiten

#1 – Wir sind zu langsam – wir müssen agil werden!

Nämlich weil? Weil wir dann schneller sind. Ok… kann manchmal sogar stimmen. In erster Linie sind die Releasezyklen des Outputs wie Software-Prototypen, Reporting-Prototypen oder Produkt-Prototypen kürzer, und das kann in der Tat schneller wirken und manchmal sogar schneller sein.


Der tatsächliche Lieferzeitpunkt des fertigen Produkts (sofern „fertig“ in einer agilen Welt überhaupt gelten mag) kann in der Realität genauso früh oder spät erfolgen wie bei einer Wasserfall-Planung. Man erspart sich jedoch durch frühes Feedback und frühe Iterationen die sonst häufigen hektischen Last-Minute-Änderungen bei Auslieferung des nach dem Wasserfall-Prinzip geplanten Produktes – und das kann dann schon mal am Ende etwas Zeit kosten. Dennoch – wer es eilig hat, muss langsam gehen. Agiles Arbeiten darf nicht mit Schnelligkeit oder Hektik verwechselt werden. Laut Duden bedeutet „agil“ nämlich: „von großer Beweglichkeit zeugend; regsam und wendig“. Von schnell ist hier noch keine Rede. In der Tat sind es genau diese Wenigkeit und Regsamkeit, die ein Unternehmen anpassungsfähiger und somit resilienter werden lassen.


Besser wäre also der folgende Schluss: Wir müssen schneller werden. Wie können wir das schaffen, und könnte „Agilität“ eine Möglichkeit sein, uns dabei zu unterstützen?



#2 – Wir müssen schnellere Entscheidungen treffen – wir müssen agil werden!

Das stimmt sogar – in manchen Fällen. Bis eine Organisation zu Entscheidungen kommt, vergeht üblicherweise allerdings etwas Zeit. Agile Hierarchien sind flacher, entsprechend werden Entscheidungen auf mehr Köpfe verteilt und ein oder wenige Mitglieder höherer Hierarchieebenen werden nicht zum Bottleneck.


Um wirklich dorthin zu kommen, dass eine Organisation so gut vernetzt und aufgestellt ist, dass sie sich mit dezentraleren Entscheidungen von mehr Teams oder Personen auch wirklich wohlfühlt, bedarf es einiger Schritte. Die Kultur und die Werte spielen hierbei eine wirklich große Rolle.


Eine Organisation, die sich als Teil eines komplexen Großen und Ganzen versteht und deren Strategie auf Kooperation und Kollaboration basiert, ist einer agilen Arbeitsweise näher als eine, die auf klare Strukturen, Prozesse und Entscheidungswege setzt. Beide können sehr erfolgreich sein und beide können sich in Richtung „agil“ entwickeln – der Weg dorthin wird für beide sehr anders sein.


Wichtig ist, sich den Ist-Zustand ehrlich vor Augen zu führen und zu prüfen, welche Änderungen und Maßnahmen vom „Ist“ zum „Soll“ führen können. Agil ist nicht in jedem Unternehmen die richtige Maßnahme, um schnellere Entscheidungen zu treffen. Die Effizienzerhöhung bestimmter Entscheidungswege kann z. B. für manche Organisationen der bessere Weg sein.


Auch kann leicht das Gegenteil passieren – Entscheidungen werden nicht schneller, sondern gar nicht getroffen. Eine nicht sorgsam durchgeführte agile Transformation kann bisherige Führungskräfte durchaus in Besorgnis versetzen. War eine ihrer bisherigen Funktionen und Aufgaben, Entscheidungen zu treffen, so kann eine agile Transformation zur Angst vor Entmachtung und Kontrollverlust seitens der bisherigen Führungsebene führen, mit einem – offen oder weniger offenen – Boykott und kompletter Entscheidungslosigkeit.


Auch hier wäre ein anderer Schluss zielführender: Wir müssen schnellere Entscheidungen treffen. Was hält uns bisher davon ab, und könnte „Agilität“ eine Möglichkeit sein, uns dabei zu unterstützen?



#3 – Wir müssen innovativer werden – wir müssen agil werden!

Innovation hat durchaus etwas mit Agilität zu tun, vor allem, wenn man sich auf die Bedeutung des Wortes lt. Duden konzentriert: wendig, regsam, beweglich. Ein flinker Geist, neue Perspektiven und auch Tools und Methoden, die Kreativität stimulieren, die Trends erkennen oder die disruptiven Ideen erkennen und fördern – all dies macht innovativ. Agil als Organisationsform nicht zwingend.


Innovativität ist auch eigentlich gar keine Strategie, sondern ein Ziel und schlicht in vielen Bereichen eine Notwendigkeit. Wo ich aber den Zusammenhang von Agilität und Innovation in der Tat sehe: durch die flachen Hierarchien werden mehr Menschen im Unternehmen gefördert, sich aktiv einzubringen, so dass dem Unternehmen die Kreativität der Masse, und nicht nur einzelner Teams, zur Verfügung steht.


Auch hier wäre es also besser, sich zu fragen, was den Innovationsgeist einer Organisation blockiert und nicht „Agilität“ per se als Lösung zu sehen.


#4 – Uns gibt es schon so lange – wir können nicht agil werden!

Das ist nun wirklich ein Missverständnis. Es gibt Kriterien, die eine agile Transformation erschweren – und die können, müssen aber nichts mit dem Alter des Unternehmens zu tun haben. Viel größere Einflussfaktoren sind aus meiner Sicht Kultur sowie das Change-Vermögen einer Organisation. Die Offenheit und Bereitschaft der Belegschaft, bei Veränderungen mitzugehen und auch das Vermögen der Unternehmensleitung, eine Transformation transparent und mit einem sinnvollen Zielbild zu vermitteln, spielen eine viel größere Rolle als das Alter. Ein Unternehmen kann seit 30 Jahren am Markt agieren und eine größere Offenheit und Flexibilität gegenüber Veränderungen haben als eines, welches schon nach zehn Jahren irgendwie eingeschlafen ist.



Der Wert einer bewussten Transformation

Diese Liste der Missverständnisse hat keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sie soll vielmehr beispielhaft vermitteln, wie sehr sich Strategie und Strategieumsetzung miteinander vermischen können. Sie soll auch zeigen, wie wichtig es ist, sich mit dem Sinn und dem Ziel einer Transformation überhaupt auseinander zu setzen, und sich danach überlegen, wie man dorthin kommt anstatt mit der agilen Transformation zu starten und sie als Allheilmittel zu sehen.


Was ich aber immer wichtig finde: Ein Unternehmen sollte bei einer geplanten Transformation immer prüfen, inwieweit eine agile Transformation zur Zielerreichung beitragen kann. Denn wie eingangs erwähnt:


Neben der Digitalisierung halte ich agiles Arbeiten für einen der wichtigsten Resilienzfaktoren von Unternehmen in unserer dynamischen und komplexen Zeit.

 


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